Mit „Tango im Dreivierteltakt“ ist Helga Jursch ein Roman über Argentinien und Chile eingepackt in einer Liebesgeschichte gelungen, der sofortiges Fernweh garantiert. Ich durfte der Autorin 5 Fragen stellen, in denen natürlichen reisen und ferne Länder eine große Rolle spielen.
lesefreude: Besonders die eindrucksvollen Beschreibungen der Landschaft und der Vegetation in deinem Buch „Tango im Dreivierteltakt“ haben es mir angetan. Hast du alle beschriebenen Plätze bereits selber besucht und mit eigenen Augen gesehen?
Helga Jursch: Gewissermaßen. Ja, ich habe die in dem Buch beschriebene Rundreise von Buenos Aires nach Santiago gemacht. Die Atacama-Wüste hingegen entspringt meinen Recherchen. Irgendwann muss ich da noch hin, um zu gucken, ob ich auch alles richtig beschrieben habe.
lesefreude: Reisen zählt zu deinen großen Leidenschaften und du hast bereits drei Bücher geschrieben in denen Reisen (Argentinien und Südamerika, Nordindien, Asien) eine zentrale Rolle spielt. Abgesehen von den Destinationen an denen deine Bücher spielen, welches Land hat dich bis jetzt am meisten beeindruckt?
Helga Jursch: Ich denke mal, das war Burma. Während ich dort war, hat mich tagtäglich der Gegensatz zwischen der Armut des Volkes und dem Reichtum der Religion erschüttert. Dort sind und werden ungeheure Mengen Gold in den Tempeln verbaut. Die Bevölkerung verzichtet auf viel, um genug Geld für Gold zu haben, das dann dem Tempel gespendet wird. Für den Tempel zu geben, macht die Leute glücklich. Diese Denkweise ist mir sehr fremd, obwohl ich annehme, dass in Europa eine ähnliche Stimmung geherrscht haben muss, als die ganzen gotischen Kathedralen entstanden. Andererseits blicken die Burmesen vielleicht mit der gleichen Befremdung auf uns und unseren uferlosen Konsum.
lesefreude: „Tango im Dreivierteltakt“ ist das erste Buch in dem du Charaktere erfindest und diese reisen lässt. Was hat dich zu diesem Schritt bewegt?
Helga Jursch: Zum einen wollte ich mich weiterentwickeln. Die ersten zwei Bücher waren quasi Probeläufe, ob mein Schreibstil ankommt. Die Story zur Reise auszuarbeiten war viel schwieriger als ich dachte, aber es hat mir großen Spaß gemacht. Die Südamerika-Rundreise wollte ich auch gern veröffentlichen, doch in der Gruppe waren zwei Reisegenossen, die alles ganz furchtbar fanden und den ganzen Tag nur gemeckert haben. Da ein realitätsgetreuer Reisebericht möglicherweise Rückschlüsse auf die Personen ermöglicht hätte, habe ich den Roman geschrieben. In meinem Paul versammeln sich alle Ereignisse (plus einige Eigenkreationen), die mich über die schwierigen Mitreisenden haben stöhnen lassen.
lesefreude: Fotografierst du selbst auf Reisen und wenn ja wie gehst du dabei vor? Bist du eher die Knipserin, die ihre Erinnerungen festhalten möchte oder kriechst du auch schon mal am Boden um die perfekte Stimmung und Perspektive einzufangen?
Helga Jursch: Ich bin eher die Knipserin. Auf den Reisen hat es mir schlicht und ergreifend an Zeit gefehlt, um ein Bild perfekt in Szene zu setzen. Aber selbst wenn ich Zeit habe, fehlt mir dafür oft die Geduld. Außerdem habe ich Hemmungen, Personen einfach so zu fotografieren. Wenn sie es nicht wollen, lassen sie es. Ich bewundere die Fotografen, die ein Vertrauensverhältnis aufbauen und dann sagenhafte Portraits machen. Wobei sich speziell in Asien viele Menschen sehr gern fotografieren lassen. Auf dem Boden entlangkriechen? Ja, als ich noch jung war, habe ich das öfter gemacht. Jetzt überlege ich vorher, ob ich noch problemlos wieder hochkomme.
lesefreude: Könntest du dir vorstellen auch ein Buch in deiner Heimat zu schreiben oder brauchst du einen exotischeren Handlungsort?
Helga Jursch: Es ist sogar mein Ziel, einen Heimatroman zu schreiben. Ich entwickle mich quasi von außen nach innen. Das mit dem Heimatroman stelle ich mir sehr schwierig vor, weil für mich selber alles so selbstverständlich ist, dass es mir nicht auffällt, obwohl die Dinge durchaus wert wären, dargestellt zu werden. Diese Sensibilität zu entwickeln wird wohl noch eine Weile dauern.