Aufgewachsen ist Eva Reisinger am Land in Oberösterreich. Einer Gegend wo in jeder Hauseinfahrt zwei Autos stehen. Denn sonst kommt man hier ja auch nicht weg. Das Mofa war der Weg in die Freiheit und zur nächsten Großraumdisco, wo sich am Wochenende alle trafen.
So schnell wie möglich flüchtete Eva vom Land und zog nach Wien um Journalismus und Medienmanagement zu studieren. Die Medien sollen Evas Tor in die weite Welt sein. Zwei Jahre lebte und arbeitete sie als fest angestellte Redakteurin in Berlin, bevor es sie 2019 doch wieder nach Wien und damit nach Österreich zurückzog.
Skifahren, Schnitzel, Kaiserschmarren und Sissi – so die gängigen Klischees wenn man an Österreich denkt. Um die gemütliche Kaffeehauskultur werden wir Österreicher zu recht beneidet. Nicht zu vergessen ist unsere eigene Sprache, die jeden Zuagroasten sofort und schonungslos entlarvt.
Neben all diesen Klischees, versucht Eva Reisinger zu erkunden, was den nun typisch österreichisch ist. Als Außenstehender kann man sich schon oft über unser kleines Land im Herzen Europas mit seinen herrlichen Bergen wundern. So wurde auch Eva Reisinger in ihrer Zeit in Berlin immer wieder gefragt „Was geht eigentlich mit Österreich, Eva?“. Eine durchaus berechtigte Frage, wenn ein 31-Jähriger Kanzler wird und jeder Dritte rechts wählt. Wien wurde bereits 10 mal zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt und gleichzeitig hab ich noch in keiner anderen Stadt der Welt so viele unfreundliche, grantige Menschen gesehen.
Deswegen widmet sich Eva Reisinger auch den Themen, die wir gerne auf unsere ganz eigene österreichische Art und Weise weglächeln. Der Rechtsruck und rassistische Sprüche, die jederzeit und in allen Kreisen laut ausgesprochen werden dürfen, so lange sie nur mit einem kleinen Auflachen begleitet werden. Immer das kleine Schlupfloch „Ach, so war das gar nicht gemeint“. Dieses Verhalten führt unwillkürlich dazu, dass die Sprüche immer heftiger werden und langsam aber sicher sozial anerkannt.
Dies Verhalten kann man bei vielen weiteren Themen beobachten, wie zum Bespiel Religion, Emanzipation, Gleichberechtigung. Da schrecken wir in Österreich nicht einmal davor zurück dies im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu tun. Da bekommt eine Sendung zwar ein neues Konzept und wird erwartungsschwanger in „Wir sind Kaiser*in“ umbenannt, um sie um eine weibliche Perspektive zu ergänzen. Zwar werden dann Ungerechtigkeiten angesprochen, nur um sie unterstützt vom „Weißen-Mann“-Syndrom wegzulächeln. Kann ja schließlich nix dafür das arme Hascherl, dass es solche Flausen im Kopf hat. Der Brechreiz steigt exponential mit den Sendungsminute.
Aber zurück zu „Was geht, Österreich? – Eine Landjugend mit Wodkabull und dem Herrgott“. Das Buch fängt leicht verdaulich an und widmet sich den schöneren Themen. Klar kommt immer wieder auch ein nicht so erfreuliches Kapitel, aber auch diese Seite gehört (leider) zu Österreich dazu. Zum Ende hin wird es jedoch immer kritischer und kritischer. Der Rechtsruck rückt in den Mittelpunkt. Grundsätzlich finde ich es absolut wichtig, dass Eva Reisinger diese Themen direkt anspricht, dennoch hätte ich mir auch zum Ende hin immer wiedermal eine schönere Anekdote gewünscht.
Last but not least, ist mir die Zielgruppe nicht klar. Denn zuerst dachte ich, dass Buch ist eher für den Deutschen Markt geschrieben, um den kleinen Nachbar im Süden besser kennenzulernen. Doch viel zu viel in dem Buch ist an die ÖsterreicherInnen gerichtet. Diese sollten das „Was geht, Österreich?“ lesen, um von Eva Reisinger wachgerüttelt zu werden.
Fazit
★★★★☆
Eva Reisinger ist ein paar Jahre jünger als und so wie ich am Land aufgewachsen. Insofern konnte ich in einigen Geschichten Parallelen erkennen und kann bestätigten, dass Österreich so ist. Als ich das Buch beendet habe, war ich ihm bei weitem nicht nur wohl gesonnen. Viel zu negativ und überzogen kritisch empfand ich es. Doch irgendwie lies es mich nicht los und etwas keimte in mir. Zudem sah ich das Interview mit Eva Reisinger in der Sendung „Erlesen“.
Nun muss ich sagen, dass „Was geht, Österreich?“ etwas in mir verändert hat. Es hat mich zum Nachdenken und Reflektieren meines Umfeld und meines eigenen Verhaltens gebracht. Das Buch ist so viel mehr als nur eine humorvolle Beschreibung unseres Landes. Es ist eine gelungenes Stück Gesellschaftskritik, die es nur schafft so unter die Haut zu gehen, weil Eva Reisinger weiß, wie wir ÖsterreicherInnen ticken.
NetGalley und Kiepenheuer & Witsch haben mir ein ebook zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!