Der Inhalt
Nadine Pungs begibt sich alleine auf eine Rundreise durch den Iran. Ein Monat lang reist sie von Teheran über Isfahan, Shiraz bis in den Süden und im Westen über Ahwaz und Susa bis in den Nord fast an die Grenze zu Aserbaidschan. Sie möchte herausfinden was sich hinter der „Achse des Bösen“ wirklich verbirgt und wie sich das Land von dem unterscheidet, das uns die Medien präsentieren.
Meine Meinung
Vor ziemlich genau einem Jahr war ich selbst im Iran und hab mir mein eigenes Bild über dieses herrlich, vielfältige Land gemacht, das so ganz und gar nichts mit dem zu tun hat was uns die Medien präsentieren. Die Menschen sind neugierig, weltoffen und freuen sich über Touristen. Mit „Welcome to Iran“ wird man an jeder Ecke begrüßt. Die Menschen versuchen mit den Touristen ins Gespräch zu kommen und mehr über das Leben außerhalb des Irans zu erfahren.
„Das verlorene Kopftuch“ wird jedoch vermutlich wenig dazu beitragen, dass mehr Menschen dieses wundervolle Land bereisen. Noch jetzt gerate ich ins Schwärmen wenn jemand in meiner Nähe den Iran auch nur erwähnt. Im Prolog schwärmt auch Nadine noch vom Iran. Wir steigen in die Geschichte ein, als Nadine mit einem lachendem und einem weinendem Auge nach vier Wochen bereits wieder ihre Heimreise antritt. Ich hatte das Gefühl, dass sich Nadine in den Iran verliebt hat. Wenn gleich sie im Prolog bereits klar stellt, dass bei weitem nicht alles in Ordnung ist.
Doch die ersten 70 % sind sehr negativ gestimmt und triefen von der einseitigen Sichtweise, die uns auch in den Medien präsentiert wird. Ich verstand weder was Nadine Pungs zu dem Prolog bewegt hat, noch warum sie überhaupt in den Iran gereist ist.
Die typischen klischeehaften Themen werden überstrapaziert. Nadine fühlt sich mit dem Kopftuch nicht wohl. Frauen müssen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen. Zudem sieht sie es ständig als Zeichen der Diskriminierung und sie philosophiert über die unterdrückten Frauen. Dabei verpasst sie die Gelegenheit die vielen Frauen, denen sie begegnet ist darüber zu befragen, was sie wirklich empfinden.
Grundsätzlich denke ich, dass es jedem freistehen sollte was er/sie trägt. Dennoch finde ich es schade, dass wir den Iran und das Kopftuch immer mit Unterdrückung gleich setzen. Die iranische Frau ist eine starke Frau und nur das Ablegen des Kopftuches löst bestimmt nicht alle Probleme.
Noch viel schlimmer ist das sehr einseitige Bild das Nadine im Hinblick auf Gewalt, Krieg und den Dash auf den Iran wirft. Ich behaupte nicht, dass sich der Iran immer und in allen (politischen) Fragen richtig verhalten hat. Dennoch denke ich, dass man für eine reflektierte Meinung auch die Rolle diverser anderer Staaten genau betrachten sollte. Welche Möglichkeiten hätten die anderen Staaten gehabt und welche Alternativen gab es für den Iran. Der Iran leidet darunter, dass er selbst alles hat was zum Überleben notwendig ist. Klimatisch liegt das Land hervorragend. Lebensmittel können in vielen Gebieten angebaut werden und gedeihen prächtig. Zusätzlich gibt es Wasser und Erdöl. Viele Ressourcen auf die so mancher gierig starrt.
Am aller meisten stört mich der Schreibstill. Dieser ist derartig negativ, dass man es schon wieder als Kunst bezeichnen kann. Hier zwei Beispiel, um das zu verdeutlichen.
„So wie der Ozean einen Ertrinkenden ans Ufer spült, so spuckt mich das Viertel aus und rotzt mich an Land. Unsanft, aber ich habe wieder festen Boden unter den Füßen. Denn in der Ferne entdecke ich eine Traube Touristen und weiß es ist nicht mehr weit.
32%
Um den Zusammenhang des nächsten Zitats verstehen zu können, sei erwähnt, dass es hierbei um die Zorastiker geht, eine im Iran anerkannte Glaubensgemeinschaft. Traditionell findet in dieser Religion eine Himmelsbestattung statt. Dabei werden die Toten auf einem sogenannten Schweigeturm aufgebahrt. Der Leichnam dient Raubvögeln als Nahrung.
„Das sahen die Yazder anders. Sie beklagten sich über vom Himmel herabfallende Menschenteile, und somit beschloss die Regierung ein Verbot der Zeremonie. Die Schweigetürme schweigen seitdem, und die Geier sind ausgestorben. Schade.“
47%
Versetzt man sich in die Lage der Yazder kann ich gut nachvollziehen, dass die herabfliegenden Leichenteile sehr unangenehm sind. Ganz zu schweigen von dem dadurch entstehendem hygienischen Problem. In meiner lebhaften Phantasie sehe ich mich gemütlich im Garten bei einem Tee sitzen und plötzlich fällt ein Finger vom Himmel direkt in meinen Tee. Lecker! Auch hier kann es Nadine nicht lassen, unreflektiert auf die ausgestorbenen Geier (was ich persönlich für ein Gerücht halte, wenn ich es auch nicht nachweißen kann) hinzuweisen.
Was mir im Herzen schmerzt ist das lapidare Abwicken der kulturellen Bedeutung von Ganj Nameh. Hier findet man auf gigantischen Steintafeln in einem Felsen Inschriften von Dareios I und Xerxes I. Inhaltlich preisen die Text die Götter und die beiden Herrscher. Das kann man vielleicht noch als nicht spektakulär abtun. Allerdings sind die Schrifttafeln in drei Sprachen (altpersisch, neuelamisch und neubabylonisch) geschrieben. Dadurch trugen diese Steintafeln einen enormen Beitrag zur Entzifferung der Keilschrift bei.
Ich konnte kaum eine halbe Seite in „Das verlorene Kopftuch“ lesen ohne meinem Unmut lautstark Kund zu tun. Und dann plötzlich bei circa 70%, kurz vor dem Ende ihrer Reise, macht Nadine eine 180 Grad Drehung. Ohne erkennbaren Auslöser steht sie plötzlich dem Land wohlgesonnener gegenüber. Fast scheint es als hätte sie auf ihrer Reise jetzt erstmals die Gelegenheit sich über alles Gedanken zu machen.
Denn nun zieht Nadine Rückschlüsse und wirft einen Blick unter die Oberfläche. Sie macht sich Gedanken über die geschichtlichen Ereignisse. Hinterfragt ob der Westen und die USA immer richtig gehandelt haben und was passiert wäre, wenn andere Entscheidungen getroffen worden wären.
„Und warum sollen pakistanische Nuklearwaffen ungefährlicher sein als iranische? Oder amerikanische? Wer ließ noch gleich die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fallen?“
71%
Nadine Pungs endet mit einem schönen Plädoyer für die Freiheit. Sie ruft in Erinnerung, dass für sie selbst, sowie für die meisten Westler die Freiheit selbstverständlich ist. Wir nehmen sie nicht mehr als das kostbar wahr, was sie definitiv ist. Sie spürte, so wie ich, den Wunsch der IranerInnen nach Freiheit. Fernab von den klischeehaften Kopftuchdisskusionen, die so herrlich plakativ und gleichzeitig nutzlos sind.
Besonders wichtig finde ich die Erkenntnis, dass die IranerInnen ihren eigenen Weg zur Freiheit finden müssen. Wir dürfen Ihnen nicht unsere Ansichten aufzwingen, die aufgrund von so vielen kulturellen Unterschieden nicht funktionieren werden.
„Demokratie, wie wir sie kennen, ist nicht überall ein Exportschlager. Wir sollten unsere Finger aus den Ländern anderer Leute heraushalten.“
91%
Fazit
★★☆☆☆
Was hat mich dieses Buch geärgert und schimpfen lassen? Da Nadines Reiseroute ähnlich wie meine war, hoffte ich die vielen schönen Erlebnisse hier noch einmal in Erinnerungen gerufen zu bekommen.
Und dann waren die ersten 70% des Buches gefüllt mit vielen Klischees und sehr oberflächlichen Einblicken, die sich im Kreis zu drehen drohten. Und plötzlich beginnt Nadine Pungs völlig überraschend zu reflektieren und die Dinge, in das für mich richtige Licht zu rücken. Dabei ist „das richtige Licht“ nicht eines, das alles gut heißt. Sondern eines, das hinterfragt, sich Gedanken macht und vor allem die unendlichen Graustufen zwischen Schwarz und Weiß wahrnimmt und darstellt.
Obwohl ich kurz davor war das Buch abzubrechen, bin ich froh durchgehalten zu haben. Ja, letzten Endes muss ich für diese enorme Wende sogar noch einen zweiten Stern vergeben, wenngleich ich hoffe, dass die Leser sich auf das letzte Drittel des Buches stürzen.
Let’s talk
Der Iran – wie ist deine Wahrnehmung über dieses Land im Nahen Osten? Woher beziehst du deine Informationen?
Liebe Sabrina, eine interessante Rezension. Toll, dass Du das Geschriebene vor dem Hintergrund Deiner Reiseerfahrung lesen konntest. Das rückt das Buch doch in ein anderes Licht, denn Vorurteile haben wir hier sicher schon genug. Schön, wie Deine Begeisterung für das Land „durchkam“.
Liebe Grüsse
Isabel
Hallo Isabel!
Das Land bereits bereist zu haben und nun das Buch zu lesen, hat mir natürlich nochmal eine andere Sichtweise auf das Gelesene gegeben. Ich ertappe mich selbst auch immer wieder wie Vorurteile in meinem Kopf aufpoppen. Es ist wichtig, dass wir unsere eigenen Vorurteile immer wieder hinterfragen und uns ihnen bewusst sind.
Liebe Grüße
Sabrina
Liebe Sabrina,
ich bin schon total gespannt auf das Buch! Diesen Monat werde ich es nicht schaffen, ich hoffe auf den nächsten! Mal sehen, ob ich deinen Kritikpunkte auch so wahrnehmen kann, da ich das Land ja noch nicht bereist habe. Vielleicht wird das einem erst so richtig bewusst, wenn man vor Ort war.
GlG, monerl
Hallo monerl!
Ja, man hat natürlich einen anderen Blickwinkel, wenn man viele der beschriebenen Dinge bereits selbst erlebt hat. Schade, dass du es diesen Monat noch nicht schaffen wirst. Ich bin schon super auf deine gespannt.
Liebe Grüße
Sabrina
Hallo Sabrina,
ich wollte Deine Rezension ja erst lesen, wenn ich das Buch gelesen habe, da ich wissen wollte, ob mir das gleiche auffällt, wie Dir. Ich bin erst auf Seite 30 und reg mich schon die ganze Zeit auf. Daher komme ich auch so langsam vorran.
Ich selbst war nicht im Iran, habe aber dieses Jahr schon ein paar Bücher über den Iran gelesen und mich ein bisschen mit seiner Geschichte befasst. Und es ärgert mich, wie Nadine es dar stellt. Der arme, schwerkranke Scheich musste in die USA fliehen. Mir kommen die Tränen.
Ich finde es so cool, dass Du selber im Iran warst. Alleine oder mit jemandem zusammen? Gibt es hier auf dem Blog Reiseberichte dazu?
Ich habe den Iran so in mein Herz geschlossen. Und an Neujahr wusste ich noch gar nicht, dass ich mich für das Land interessieren werde. ^^
Liebe Grüße
Petrissa
Hallo Petrissa!
Ich kann gut verstehen, dass dich das Buch aufregt. Es ist wirklich schwer das Buch zu weit zu lesen, dass die Ansicht langsam reflektierter werden. Sehr schade, es wäre viel Potential da gewesen.
Ich war mit einer kleinen Reisegruppe von 4 Personen unterwegs. Es war fantastisch. Ich hätte auch keine Bedenken völlig auf mich alleine gestellt in den Iran zu reisen. Wenn man eine Rundreise machen will, ist es, denke ich die größte Herausforderungen sich bei den ganzen arabischen Schriftzeichen zurecht zu finden. Wenn ich beispielsweise in Polen bin, weiß ich nach kurzer Zeit, dass “ dworzec“ Bahnhof bedeutet. Ich kann mir die Buchstabenkombination merken und sie wieder erkennen. Die arabischen Schriftzeichen ergaben für mich (bis auf die Zahlen) auch nach zwei Wochen absolut keinen Sinn.
Die Reisebericht hast du mittlerweile ja schon gefunden ;)
Wenn du selbst mal in den Iran reisen willst, kannst du dich gerne bezüglich Tipps bei mir melden.
Liebe Grüße
Sabrina