Madagaskar fasziniert mich schon lange und so war klar, dass ich Rebecca Gehrigs „Der Ruf der Lemuren“ unbedingt lesen muss. Die Autorin begibt sich auf eine Reise in den madagassischen Regenwald, um ihren Traum zu leben: Lemuren in freier Wildbahn zu sehen. Doch ihre Reise entpuppt sich als weit mehr als nur eine Begegnung mit exotischen Tieren – sie wird zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien und Wahrheiten.
Die Reise nach Madagaskar ist eine Mischung aus Staunen und Respekt, die von Entbehrung und unglaublichen Bergen an Reis geprägt ist. Das Leben der Menschen vor Ort ist hart, und trotzdem setzen sich einige für den Schutz der Natur und der Tiere ein. Die Autorin lässt die Leser an ihren Begegnungen teilhaben und reflektiert immer wieder die komplexen Widersprüche, die ihr begegnen. Tiere schützen ja! Doch was wenn man selbst und unbeschreiblichen Hunger leidet?
Der Bericht liest sich wie ein langsamer Spaziergang durch den Regenwald – es ist eine Einladung, sich in die Landschaft und die Gedankenwelt der Autorin zu vertiefen. Rebecca Gehrig gelingt es, das Fernweh zu entfachen und den Leser mit ihrer Begeisterung für die Tiere und die Natur Madagaskars anzustecken. Die vielen Details und die lebendigen Beschreibungen lassen das Bild von Madagaskar förmlich vor den Augen entstehen. Besonders die leidenschaftlichen Schilderungen der Lemuren und exotischen Vögeln haben mich immer wieder mein Handy zu zücken lassen, um mehr über diese Tiere zu erfahren und ihr Aussehen zu bestaunen.
Jedoch, wie so oft bei Reiseberichten, machte sich nach einer Weile eine gewisse Sättigung bemerkbar. Gerade gegen Mitte des Buches, nach den wiederholten Regenwaldtouren, schlich sich eine gewisse Reisemüdigkeit beim Lesen ein. Der Erzählfluss wurde langsamer, und das Buch wirkte an diesen Stellen etwas träger. Gehrig lässt ihre eigene Erschöpfung durchklingen, was die Authentizität der Erzählung jedoch nur unterstreicht.
Interessanterweise fühlte ich mich an eigene Ausflüge in den Regenwald erinnert – sei es in Costa Rica oder São Tomé. Diese persönlichen Erfahrungen haben das Leseerlebnis für mich noch intensiver gemacht und mir geholfen, mich in die beschriebenen Szenen besser hineinzuversetzen.
Neben dem Inhalt besticht Der Ruf der Lemuren auch durch seine liebevolle Gestaltung. Das Buch ist im Reisedepeschen Verlag erschienen und kommt mit wunderschön gestalteten schwarz-weiß Zeichnungen daher, die das geschriebene Wort auflockern und die Atmosphäre des Buches unterstreichen. Das Lesebändchen, das in einem warmen Orange gehalten ist, perfekt auf das das Cover abgestimmt.
Alles in allem ist Der Ruf der Lemuren ein beeindruckender und nachdenklicher Reisebericht, der sowohl die natürliche Schönheit Madagaskars als auch die sozialen und ökologischen Herausforderungen des Landes beschreibt. Wer eine tiefere Auseinandersetzung mit der Natur, den Tieren und widersprüchlichen Wahrheiten sucht, wird hier fündig – auch wenn das Buch stellenweise in seiner Detailfülle etwas langsamer wird.