Die Handlung
Martins Großvater hat einen letzten Wunsch. Noch einmal möchte Franz nach Amerika. Die Orte besuchen, die er seit seiner Kriegsgefangenschaft 1944 nicht mehr gesehen hat.
Obwohl das Verhältnis zu seinem verbitterten Großvater nicht das beste ist, lässt sich Martin auf dieses Abenteuer ein. An den Orten von damals werden die Erinnerungen lebendig und Franz erzählt von allem was sein Leben so einschlägig verändert hat.
Meine Meinung
Während ich viele Geschichten aus russischen Gefangenschaften kenne, muss ich gestehen dass ich von amerikanischer, britischer oder französischer Gefangenschaft so gut wie nichts weiß. Dies stellt für mich die Hauptmotivation dar, das Buch zu lesen. Immerhin möchte ich mit der „Wider Das Vergessen“ Challenge nicht nur, gegen das Vergessen ankämpfen, sondern auch meinen Horizont und mein Wissen erweitern.
„Ein mögliches Leben“ greift nun eine Geschichte über amerikanische Kriegsgefangenschaft auf. Von der Überfahrt der Gefangenen in einer wochenlange Schifffahrt von Europa nach Amerika, dem Leben im Lager bis hin zu der Befreiung und der schweren Integration in ein „normales“ Nachkriegsleben.
„Er erinnert sich genau an seinen Stolz, als der Vater ihn mit zu einer Rede von Göring nahm, als er Essen besuchte, an die Freude im Angesicht all dieser Menschen, die jubelten und sangen. Die wehenden Fahnen, das Gefühl, Teil von etwas großem zu sein.“
31%
Hannes Köhler zeigt auf ergreifende Weise die Entstehung der erschreckende Begeisterung der Menschen für den Nationalsozialismus, die folgende Ernüchterung und der anschließende Hass auf die „Täter“ und alle jene, die noch immer an dieser Ideologie festhielten.
Das Buch stellt nicht die Beziehung zwischen Enkel und Großvater in den Vordergrund, sondern nutzt dieses Setting nur als Rahmen. Durch Martin spürt man als die Leser die Unwissenheit, aber auch Respekt oder beinahe schon Angst vor der Vergangenheit. Viele der Geschehnisse sind schlicht so grausam, dass man sich gar nicht zu sehr hineinfühlen mag und das Grauen oftmals wie in einem schlechten Filmen erscheint. Diese Geschichten dann mit den eigenen Großeltern in Verbindungen zu bringen und sie durch ihre Erzählungen das Schreckliche nochmals durchleben zu lassen, sorgt noch heute für Leid und Schmerz.
Aus der Sicht eines allwissenden Erzähler reisen wir mit dem Großvater in die Vergangenheit und erleben mit ihm dem Krieg noch einmal. Dann wiederum springen wir in die Gegenwart und erhalten Einblicke wie die Geschichten den Großvater noch heute prägen. Franz schwankt zwischen der Last des Schweigens und dem Wunsch seiner Familie alles zu erzählen und so etwas bleibendes zu hinterlassen.
In den amerikanischen Lagern ging es den Gefangen vergleichsweise gut. Die Versorgung war sicher gestellt. Es gab ausreichend zu Essen und beinahe jeden Tag kam Fleisch auf den Tisch. Da auf amerikanischen Boden selbst kein Krieg war, ging es den Menschen und den Gefangen im Vergleich zu Europa recht gut.
Dennoch mussten die Gefangenen einen Beitrag leisten und arbeiten. Als Erntehelfer unter der senkenden Hitze der Sonne in Texas keine leichte Arbeit. Zusätzlich drückte die Angst, um die Familie in Deutschland auf das Gemüt. Schreckensgeschichten von zerbombten Städten drangen schnell auch bis in die Lager in Amerika vor.
Doch die größte Gefahr waren die deutschen Gefangenen füreinander. Während viele bereits ihren Kopf von der Gehirnwäsche aus der frühsten Kindheit mit Hitlerjugend und Co befreiten hat, gab es nach wie vor überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus. Diese beiden Front gerieten immer wieder aneinander.
Fazit
★★★★★
„Ein mögliches Leben“ von Hannes Köhler erzählt über das Leben als amerikanischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. Dabei ist das Buch soviel mehr als bloß eine packende Erzählung. So viele tiefgründige und politisch aktuelle Aussage werden dem aufmerksamen Leser nicht entgehen. Die Herausforderungen die Vergangenheit mit der eigenen Familie gemeinsam zu verarbeiten und vor allen Dingen weiterzugeben, um eine Wiederholung zu verhindern, ist nur eines dieser großen und wichtigen Themen.
Der Ullstein Verlag hat mir das Buch über NetGalley zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür.
Hallo Sabrina, Du erwischst mich jedesmal mit Deinen Rezensionen. Hier ist es wieder so. Wie Dir geht es mir auch, viele Bücher/Geschichten zum Thema Krieg kenne ich, aber gerade die Perspektive der Kriegsgefangenschaft aus Sicht eines deutschen Soldaten habe ich noch nie bewusst gelesen. Deshalb – Buch notiert und bestimmt werde ich nicht drumherum kommen es in nächster Zeit zu kaufen.
Danke für diese sehr schöne Buchvorstellung. Komm gut in die neue Woche
Liebe Grüße
Kerstin
Hallo Kerstin!
Wie schön, dass dich das Buch anspricht :)
Mir geht’s bei deinen Beitrag oftmals nicht anders. „Der Reisende“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist dank deiner Rezension mittlerweile auf einem eReader.
Liebe Grüße
Sabrina
Hallo Sabrina,
da lasse ich auch noch kurz einen Kommentar bei dir. Du hast das Buch in deiner Besprechung auch sehr schön zusammengefasst, lässt es noch einmal lebendig vor das innere Auge zurückkehren. Es ist für mich eines der besten Bücher aus diesem Jahr. Leider ist es ein wenig in dem Feuilletons und Blogs untergegangen, was ich bei dem Thema sehr schade finde.
Liebe Grüße
Marc
Hallo Marc!
Es ist für mich wirklich schwer zu durchschauen, welche Bücher in Feuilleton und Blogs gut angekommen. Dieses Buch hätte es thematisch und auch inhaltlich absolut verdient.
Liebe Grüße
Sabrina