Die Handlung
Wir befinden uns in der Normandie zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71. In einer Postkutsche versuchen 10 Personen aus allen sozialen Schichten aus der besetzten Normaide nach Le Herve zu fliehen. Von zwei Nonnen über das Grafenehepaar bis hin zur Prostituierten „Fettklößchen“ hat sich ein der Postkutsche ein Querschnitt der französischen Gesellschaft eingefunden.
In Tôtes angekommen wird der Reisegruppe jedoch die Weiterfahrt untersagt. Die Preußische Offizier möchte zuerst Fettklößchen für sich beanspruchen. Diese fühlt sich jedoch in ihren patriotischen Gefühlen verletzt.
Meine Meinung
Die Preußen sind in der Normandie angekommen. Man kann die Angst und die Ungewissheit der Bewohner deutlich spüren. Diese ausführliche Darstellung der Ausgangssituation ist relevant, um im weiteren Verlauf der Geschichte die Flucht nach Le Harve nachvollziehen zu können. Schließlich nimmt keiner der 10 Personen der bunten Reisegesellschaft diese Strapazen leichtfertig auf sich.
“Und dennoch lag irgend etwas in der Luft, etwas Subtiles und Ungreifbares, eine unerträgliche, fremde Atmosphäre, wie ein sich ausbreitender Geruch, der Geruch der Invasion.“
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Es zeigt sich deutlich wie sprunghaft Menschen sind, wenn es um das Setzten von moralischen Grenzen geht. Vor allem wenn diese Grenzen für den eigenen Vorteil verschoben werden. Die verachtete und gemiedene Fettklößchen wird plötzlich von allen umgarnt. Ihr wird gut zugesprochen. Schließlich hat sie so etwas schon mehrfach gemacht, sie solle doch an das Wohl der Gruppe denken. Die Erleichterung der mitreisenden Damen, dass der preußische Offizier nicht eine von ihnen erwählt hat, ist greifbar.
Die Schilderung der Reise, die Charakterisierung von Fettklößchen, aber auch den anderen Reisenden ist sehr eindringlich. Es ist immer wieder faszinierend wie viel Inhalt man auf wenigen Seiten, in diesem 54, transportieren kann.
“Wo es nun doch so viele Menschen gibt, die nützliche Erfindungen machen, muß es da gleich wieder andere geben, die ganz wild sind, Schaden zu stiften? Wahrhaftig, ist es etwa nicht abscheulich, Menschen tot zu machen, ganz gleich, ob sie nun Preußen oder Engländer oder Polen oder Franzosen sind? Wenn man sich an einem rächt, der einem was getan hat, dann es ist ein Verbrechen und dann wird man verurteilt.”
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Guy de Maupassant war Schüler des bekannten französischen Schriftstellers Gustave Flaubert. Fettklößchen war Guy de Maupassants Erstlingswerk und wurde von Flaubert als Meisterwerk gelobt. Immer wieder spannend das Nachwort der Bücher aus dem Reclam Verlag zu lesen. Von Flaubert habe ich selbst noch kein Buch gelesen. Wenn allerdings der Schüler schon derart großartig schreibt, werde ich dies definitiv nachholen.
Die Geschichte von Fettklößchen beruht Gerüchten zu Folge auf einer wahren Begebenheit. Auch wenn Adrienne Legay, sowie die Dame angeblich mit bürgerlichem Namen hieß, stets protestierte, dass sich die Geschichte so ereignete. Viel mehr behauptete sie es handelt sich dabei um einen Racheakt Maupassants, dessen Werbungen sie nicht erhörte.
Fazit
★★★★★
Guy de Maupassant zeichnet ein bedrückendes Gesellschaftsportrait. Selbstverständlich wird von der oberen Klasse erwartet das sich Fettklößchen für das Wohl der Gruppe opfert. Liebvolle Worte werden freizügig verteilt. Froh ist ein jeder, dass er nicht das Opfer bringen muss. Und wird das Opfer schließlich vollbracht, vergisst man schnell was Fettklößchen für die anderen auf sich genommen hat. Rasch wird sie wieder in die unterste Schublade gestopft und gemieden. Mit so einer will man schließlich nichts zu tun haben. Lediglich ein leichter Anflug von Peinlichkeit bleibt zurück, dieses Opfer gefordert zu haben. Fettklößchen von Maupassant zeigt deutlich, dass sich am Ende doch wieder jeder selbst der Nächste ist.
Boule de suif oder Fettklößchen findet man im Projekt Gutenberg unter dem seltener verwendeten Namen Dickchen. Bücher aus dem Projekt Gutenberg können direkt auf der Seite kostenlos gelesen werden. Außerdem sind sie, ebenfalls kostenlos, im Kindle-Shop erhältlich.